Software Made in Germany?
Ein Mitarbeiter der Personalabteilung eines deutschen Robo-
terherstellers erzählte mir, in der Ansehenshierarchie des Un-
ternehmens stünden die Maschinenbauer ganz oben. Sie
müssten extrem sorgfältig entwerfen und bauen, denn der
Rückruf einer größeren Zahl der weltweit ausgelieferten Ge-
räte wegen eines fehlerhaften Roboterarms würde das Unter-
nehmen in sehr große Schwierigkeiten bringen. Darunter ran-
gierten die Elektrotechniker. Bei Beanstandungen könnten
diese ja dem Kunden eine modifizierte Platine senden oder
nur eine Anweisung, wie eine Verkabelung zu verändern wäre.
Am wenigsten geachtet wären die Informatiker, denn sie
würden auf Kundenbeschwerden einfach antworten: „Wir
werden das mit dem nächsten ‚Release‘ durch ein paar verän-
derte Programmzeilen beheben.“
In einem Uhrengeschäft konnte sich der Kunde vor mir
nicht zwischen einer japanischen Armbanduhr und dem Fa-
brikat eines Herstellers aus der Schweiz entscheiden. Schließ-
lich argumentierte der Verkäufer: „Wenn Sie das Schweizer
Modell wählen, haben Sie eine Uhr, die es in dieser Form noch
nach 20 Jahren geben wird. Die Japaner ändern ihre Modelle
in wenigen Jahren oder Monaten.“ Der Herr kaufte die
Schweizer Uhr.
Viele Anbieter von IT-Produkten sehen es als kritischen Er-
folgsfaktor, als Erste mit einem neuen Anwendungssystem,
zum Beispiel der Online-Version einer Zeitung, am Markt zu
sein, die „Time-to-Market“ ist für sie das A und O. Darüber
hinaus argumentieren sie, dass die Beschwerden und Verbes-
serungsvorschläge der Benutzer für sie eine wichtige Ideen-
quelle seien und je rascher die neuen Versionen aufeinander
folgen, desto schneller erreiche das Produkt eine reiche Funk-
tionalität.
Unter den Benutzern gibt es sicher einige, die dieses Ange-
bot und jede neue Version auf neue Ideen bis hin zu Spiele-
reien untersuchen, damit experimentieren und Befriedigung
empfinden, wenn sie von selbst Tricks finden, die in der Be-
triebsanleitung – wenn es denn eine solche überhaupt noch
gibt – überhaupt nicht erwähnt sind. Ein solcher Personen-
kreis sind die „Nerds“.
Für einen Großteil der Käufer und Mieter der Software ist
das Produkt aber ein Werkzeug bei ihrer täglichen, anstren-
genden Arbeit. Es muss einfach funktionieren, sie können we-
der Zeit noch Konzentration noch Mitarbeiterkapazität auf-
bringen, um die laufenden Ergänzungen und Änderungen zu
verkraften. Von dort kommt ja auch das Motto „Never change
a running system“.
Ob in Anlehnung an die Gründlichkeit und nachhaltige
Qualität vieler Maschinen, Fahrzeuge und anderer Geräte der
deutschen Industrie, die den Welterfolg und das Wohlerge-
hen der deutschen (und auch der österreichischen und
schweizerischen) Volkswirtschaft mit begründen, auch einer
„Software Made in Germany“, die vielleicht ein Jahr später als
die der internationalen Konkurrenz auf der Messe vorgestellt
wird, die Zukunft gehört?
Viele Wirtschaftsinformatiker in Wissenschaft und Praxis
setzten bei meiner Umfrage zu den „Grand Challenges“ der
deutschsprachigen Wirtschaftsinformatik die Ausprägung ei-
nes derartigen Geschäftsmodells auf Platz zwölf von 23 Alter-
nativen.
Prof. Dr. Peter Mertens
arbeitet als emeritierter Professor der
Wirtschaftsinformatik an der Universität
Erlangen-Nürnberg. Gegenwärtig ist es
sein Hauptprojekt, die Meinungen zu den
großen Herausforderungen („Grand Chal-
lenges)“ an das Fach zu sammeln.
44 Wirtschaftsinformatik & Management 2 | 2014
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