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Die Beriberi, eine seltene, aber schwerwiegende nutritive Komplikation nach bariatrischen Eingriffen: Inzidenz, Symptomatologie, Therapie und Prävention

Die Beriberi, eine seltene, aber schwerwiegende nutritive Komplikation nach bariatrischen... Hauptthema  ·  Main   Topic Viszeralmedizin 2010;26:41–46 Online publiziert: 12. Februar 2010 DOI: 10.1159/000278867 Die  Beriberi,  eine  seltene,  aber  schwerwiegende   nutritive  Komplikation  nach  bariatrischen  Eingriffen:    Inzidenz,  Symptomatologie,  Therapie  und  Prävention  a b b a Christine Stroh Frank Meyer Hans Lippert Thomas Manger Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, SRH Wald-Klinikum GmbH, Gera, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum, Magdeburg, Deutschland Schlüsselwörter Key  Words Bariatrische Chirurgie · Thiamin-Mangel · Bariatric surgery · Lack of thiamine · Bariatrische Beriberi · Wernicke-Enzephalopathie · Bariatric Beriberi · Wernicke’s encephalopathy · Wernicke-Korsakoff-Syndrom Wernicke-Korsakoff syndrome Zusammenfassung Summary Hintergrund: Die epidemische Zunahme der morbiden Adiposi- Beriberi, a Rare but Serious Nutritious Complication after tas hat zu einer Zunahme an bariatrischen Eingriffen geführt. Bariatric Surgical Interventions: Incidence, Symptomatology, Damit steigt das Risiko, dass schwerwiegende nutritive Kompli- Treatment and Prevention kationen wie die bariatrische Beriberi zunehmen. Inzidenz, Sym- Background: The epidemic growth of morbid obesity has led to ptomatik und Management werden als Ziel dieser repräsentati- an increase in the number of bariatric interventions. During the ven und kompakten Kurzübersicht zusammengefasst. Metho- establishing process of bariatric surgical interventions, simulta- den: Mittels einer systematischen Literaturübersicht wurden neously, the risk for severe nutritious complications such as epidemiologische Angaben, klinische Charakteristika sowie dia- bariatric beriberi can rise. The aim of this short overview was to gnostische und therapeutische Empfehlungen der bariatrischen summarize incidence, symptomatology and management of Beriberi eruiert. Hierzu wurde in den Datenbanken PubMed, bariatric beriberi. Methods: By means of a systematic literature Cochrane und Ovid in einem definierten Zeitraum gezielt mit review, epidemiological data, clinical characteristics and diag- den Schlagworten ‘lack of thiamine’, ‘Wernicke-Korsakoff syn- nostic as well as therapeutic recommendations for bariatric ber- drome’ und ‘Wernicke’s encephalopathy’ nach bariatrischen Ein- iberi were elicited. A query of the databases PubMed, Cochrane griffen recherchiert. Ergebnisse: Bis zum 31. Dezember 2007 und Ovid was done use the following key words ‘lack of thia- wurden insgesamt 218 publizierte Fälle ermittelt. Dabei ist das mine’, ‘Wernicke-Korsakoff syndrome’ and ‘Wernicke’s encepha- Risiko eines Thiamin-Mangels und Wernicke-Korsakoff-Syn- lopathy’ after bariatric surgical interventions. Results: Until De- droms bei Frauen erhöht. Es korreliert mit dem Alter der Patien- cember 31, 2007, the cases of overall 218 patients had been pub- ten. Die Datenanalyse einen Altersdurchschnitt erbrachte von lished, indicating that the risk for the postoperative occurrence 34,1 (14–55) Jahren. Die meisten Patienten entwickelten eine of thiamine deficiency and Wernicke-Korsakoff syndrome is dis- trockene Beriberi. Bei klinischen Verdacht erfolgte die Labor- tinctly increased in women. In addition, the risk correlates with diagnostik. Die Therapie besteht in einer parenteralen Thiamin- patient’s age. Data analysis revealed a mean age of 34.1 (14–55) Substitution. Schlussfolgerung: Die bariatrische Beriberi kann years. The majority of patients developed symptoms of a dry in den ersten 1–3 postoperativen Monaten auf treten. Um das beriberi with peripheral neuritis, ataxia and paraplegia, indicat- Risiko schwerwiegender Folgen zu minimieren, ist bei klini- ing an advanced stage of disease approximately 4–12 weeks schem Verdacht oder prolongierter parenteraler Ernährung die postoperatively. Laboratory analysis is the appropriate diagnos- Thiamin-Substitution notwendig. Die verzögerte oder die Fehl- tic. As treatment, prompt initiation of parenteral thiamine substi- diagnose der Beriberi kann zu irreversiblen Schäden des ZNS tution under clinical monitoring is required. Conclusion: Bariat- mit Koma und tödlichem Ausgang führen. Kenntnisse über die ric beriberi can occur within the first 1–3 postoperative months. Entstehung, Symptomatik und Notfalltherapie sind damit für To minimize the risk of severe consequences, immediate substi- bariatrische Chirurgen und mitbehandelnde Disziplinen von tution of thiamine in clinical suspicion or prolonged parenteral Bedeutung. nutrition is necessary. A delayed or false diagnosis can lead to irreversible damage of the CNS with coma and fatal outcome. Knowledge on the subject, including origin of thiamine defi- ciency, symptomatology and emergency treatment can be con- sidered essential for bariatric surgeons but also for further medi cal disciplines involved in treatment. © 2010 S. Karger GmbH, Freiburg Dr. Christine Stroh Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie Fax +49 761 4 52 07 14 Accessible online at: SRH Wald-Klinikum Gera GmbH [email protected] www.karger.com/vim Straße des Friedens 122, 07548 Gera, Deutschland www.karger.com Tel. +49 365 82831-01, Fax -02 [email protected] Einleitung  und  epidemiologische  Vorbetrachtungen nutritive Komplikationen wie der Mangel an Thiamin werden insbesondere von Adipositas-Chirurgen beobachtet. Zur Ver- Die Adipositas ist eine weltweite Epidemie, wobei nach meidung schwerwiegender, lebensbedrohlicher Komplikatio- nen sollten die metabolischen Komplikationen nach bariatri- Schätzungen 1,7 Milliarden Erwachsene übergewichtig und 312 Millionen adipös sind [1]. Im internationalen Vergleich schen Eingriffen allen in die Betreuung der operierten Patien- gehört Deutschland zu den Ländern mit einer sehr hohen Prä- ten einbezogenen Fachdisziplinen bekannt sein. valenz der Adipositas. Nach derzeitiger Datenlage sind 70% Thiamin führt zur Beeinflussung des Herzens, des Gastro- intestinaltrakts und des peripheren und zentralen Nervensys- der Männer und 50% der Frauen übergewichtig und hiervon 17% der Männer sowie 15% der Frauen adipös [2]. tems (ZNS). Restriktive und malabsorptive Eingriffe zur Ge- In Studien wurden chirurgische Maßnahmen mit konserva- wichtsreduktion bei morbider Adipositas können potenziell tiven Therapien verglichen. Die Ergebnisse der Swedish Obe- einen Thiamin-Mangel hervorrufen. Eine zeitgerechte Diag- nosestellung und Therapie sind notwendig, um irreversible sity Subject Study (SOS-Studie) bewiesen den derzeitigen deutlichen Vorteil der operativen Therapie hinsichtlich der Schäden wie neurologische Störungen und die Ausbildung Langzeiteffekte der Gewichtsreduktion. Operative Therapie- einer Wernicke-Enzephalopathie (WE) mit deletärem Aus- verfahren werden international daher als sichere und effek- gang zu vermeiden. Das Ziel dieser systematischen Kurzübersicht der Literatur tive Maßnahmen zur Gewichtsreduktion anerkannt [3, 4]. besteht darin, Inzidenz, Symptomatik und Management der In Deutschland hat die Anzahl bariatrischer Eingriffe deut- lich zugenommen – auf derzeit schätzungsweise 2500 Opera- bariatrischen Beriberi zusammenzufassen. Hierzu erfolgte ((Abb. 1. Bemaßung 149,6 mm Breite, ohne Rahmen, s/w)) tionen/Jahr. Daher steigt auch das Risiko, dass die Häufigkeit eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken metabolischer Langzeitkomplikationen, die das «Outcome» PubMed, Cochrane und Ovid mit den Schlagworten ‘lack of thiamine’, ‘Wernicke-Korsakoff syndrome’ und ‘Wernicke’s der Patienten beeinflussen, ansteigt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit der lebenslangen Nachbetreuung. Zahlreiche encephalopathy’ nach bariatrischen Eingriffen. Kofaktor der Katalyse bei der Dekarboxylierung von Pyruvat durch den Pyruvatdehydrogenase- komplex Kofaktor der Azetyl-CoA für Kofaktor der Dekarboxylierung der mitochondriale Oxidation Transketolase α-Ketogluterate Thiaminpyrophosphat Verminderte Akkumulation von Gestörte Synthese Störungen der Dekarboxylierung der Ketosäuren spezifischer zellulären Neurotransmitter im Biosynthese α-Ketogluterate ZNS Aktivierung des Akkumulation von Enzephalo- & Zitratzyklus Aminosäuren Neuropathie Reduzierung der Azidose Energiegewinnung Abb.  1.  Funktion Reduktion des von Thiamin und Kohlehydratabbau Thiaminpyrospho- phat. Viszeralmedizin 2010;26:41–46 42 Stroh/Meyer/Lippert/Manger Z:\Karger\Karger_Zeitschriften_2010\2010_vim\VIM_1_10_81000201\03_texte\VIM_1_10_0361_Stroh_ZS.doc 10 Pathophysiologie bereits vor dem bariatrischen Eingriff ein Defizit nach. Die Ursachen hierfür sind nicht geklärt. Bei präoperativ ernied- Thiamin wird als wasserlösliches Vitamin im proximalen Jeju- rigter Thiamin-Konzentration ist eine gezielte Substitution einzuleiten. num durch ein aktives Transportsystem mit hoher Affinität resorbiert. Die Gesamtmenge von Thiamin im menschlichen Körper beträgt etwa 30 mg bei einer Speicherkapazität für 20 Tage [5, 6]. Persistierendes Erbrechen, eine verminderte Zu- Ursachen fuhr oder ein exzessiver Bedarf können in kurzer Zeit zu einem schweren Mangel führen. Nach einem bariatrischen Eingriff besteht das Risiko, dass ein Das resorbierte Thiamin liegt entweder in seiner freien präoperativ latenter Vitamin-B1-Mangel symptomatisch wird. oder in seiner aktiven, phosphorylierten Form vor. Die Restriktive Operationsverfahren führen durch – eine verminderte Nahrungszufuhr, phosphorylierten Formen entsprechen dem Thiaminmono- und -diphosphat sowie dem Thiaminpyrophosphat und – e ine postoperativ prolongierte Aufnahme von flüssigen -triphosphat. Thiaminpyrophosphat ist Koenzym für ver- Speisen mit einem vermindertem Gehalt an Thiamin und schiedene enzymatische Reaktionen, die den Metabolis- – rezidivierendes Erbrechen zu einem Mangel [5, 12–15]. mus, die Biosynthese und die Zellreplikation regulieren (Abb. 1) [7]. Weiterhin ist Thiaminpyrophosphat ein Mögliche Ursachen für einen Thiamin-Mangel nach malab- Kofaktor der Transketolase, einem Katalysatorenzym sorptiven Verfahren sind des Pentosephosphatzyklus, dessen Produkt NADPH – eine verminderte Nahrungs- und Nährstoffzufuhr, ist. Somit resultieren aus einem Mangel an Thiamin Stö- – reduzierter Appetit, – e ine inkomplette Resorption der Nahrung durch den gerin- rungen der zellulären Biosynthese, der Zellreparatur und Zellreplikation. gen Säuregehalt und Mangel an gastrischen Enzymen, Im ZNS führt der Thiamin-Mangel zur gestörten Synthese – die Ausschaltung des Duodenums, spezifischer Neurotransmitter wie des Azetylcholins und der – die Ausschaltung des proximalen Jejunums als dem primä- ren Ort der Thiamin-Resorption, g -Aminobuttersäure sowie zu Störungen in der Regulation des Ionenflusses an der Synapse. – eine gestörte Vitaminresorption in einem «Common chan- Die Konzentration an Thiamintriphosphat im Nerven- nel» mit einer Länge von 50–100 cm, und Muskelgewebe spielt eine durch die Aktivierung der – eine Hyperemesis. Die meisten Patienten entwickeln in den ersten 1–3 postope- Membrankanäle, die den Ionentransport von Natrium- und Kalium-Ionen in und aus der Zelle regulieren, entscheidende rativen Monaten einen Thiamin-Mangel infolge einer Hyper- Rolle für die Nerven- und Muskelfunktion. Ein Mangel an emesis, die sogenannte bariatrische Beriberi. Bei komplizier- Thiamintriphosphat kann in einer gestörten sensomotori- ten postoperativen Verläufen mit einer prolongierten Infusi- onstherapie ist eine entsprechende parenterale Vitaminzufuhr schen Aktivität, einer Muskelatrophie und in einer Neuropa- thie resultieren. indiziert. Physiologisch hat Thiamin eine wesentliche Bedeutung für folgende Funktionen: Symptomatik – den Kohlenhydratmetabolismus, – den Zitrat-Zyklus, – die Bildung von Nukleinsäuren und Nukleotiden, – Feuchte Beriberi: Die feuchte Beriberi ist durch kar- – den Ionentransport für die sensomotorische und Nerven- diale Symptome und Herzinsuffizienz mit Tachykardie, funktion, Rechtsherzhypertrophie, respiratorischen Störungen, peri- – die Synthese von Neurotransmittern, die für Muskeltonus, pherer Vasodilatation, Ödemen und venöser Hypertonie Gedächtnis- und kognitive Funktionen verantwortlich sind. charakterisiert. Daher ergeben sich aus einem Thiamin-Defizit eine Vielzahl – Trockene Beriberi: Die trockene Beriberi ist die häufigere potenzieller Störungen mit vital bedrohlichen Folgen. Form. Symptome sind die periphere Neuritis, die Neuro- pathie mit Bevorzugung der unteren Extremitäten, Mus- kelschmerzen und -atrophie sowie die Paraplegie. Inzidenz  – Zerebrale Beriberi: Die zerebrale Beriberi ist als Sonder- form der trockenen Beriberi mit einem akuten schweren Thiamin-Defizit assoziiert. Dieses beeinflusst das Zentral- In verschiedenen Studien hatten zirka 15,5% der Patienten mit morbider Adipositas präoperativ einen Vitamin-B1- nervensystem sowie den Spinalkanal und verursacht eine Mangel [8–10]. Dabei zeigten Frauen geringere Thiamin- WE. Ataxie und okulomotorische Störungen sind weitere Konzentrationen als Männer [10]. Flancbaum et al. [11] Symptome. In fortgeschrittenen Stadien kommt es zum Koma. Obwohl die Erkrankung bei frühzeitiger Diagnose wiesen in einer retrospektiven Analyse in 29% der Fälle Viszeralmedizin 2010;26:41–46 Postbariatrische Beriberi 43 Tab.  1.  Literaturübersicht – bariatrische Beriberi (chronologische Reihenfolge) Autor Patientenzahl Geschlecht Alter, OP-Verfahren Beginn, Symptome Inzidenz, % Jahre Monate Rothrock und Smith, 1981 [22] 1 weiblich 33 Plikatur 2 WKE k.A. Haid et al., 1982 [23] 2 weiblich 32,5 Plikatur 2–3 WKE k.A. Milius et al., 1982 [24] 1 weiblich 32 gastrische Teilung 3 WKE k.A. Fawcett et al., 1984 [25] 1 weiblich 45 Gastroplastik 2 WKE k.A. Villar und Ranne, 1984 [26] 2 weiblich 23 Gastrische Teilung 1,5 – 8 WKS k.A. Oczkowski und Kertresz, 1985 [27] 1 weiblich 25 VBG 1 WKE k.A. Abarbanel et al., 1987 [28] 23 21 weiblich 32,8 RYGBP 3–20 18 PN 4,6 3 männlich VBG 3 Myopathie (n = 23/500) 2 WKE Kramer und Locke, 1987 [16] 1 weiblich 24 Plikatur 2 WKE k.A. Albina et al., 1988 [29] 1 männlich 28 VBG 2 WKS k.A. Primavera et al., 1993 [18] 3 1 weiblich 28; BPD 2–5 WKS 0,18 2 männlich 34; 55 Seehra et al., 1996 [30] 1 weiblich 55 VBG 4 trockene k.A. 1 weiblich 40 VBG 5 Beriberi Christodoulakis et al., 1997 [31] 1 weiblich 25 VBG 2 PN Grace et al., 1998 [32] 1 männlich 33 RYGBP 136 WKS Bozboa et al., 2000 [33] 1 weiblich 28 GB 1 WKS k.A. Cirignotta et al., 2000 [13] 1 weiblich 36 VBG WKE Salas-Salvado et al., 2000 [5] 2 weiblich 31; 32 RYGBP nach GB 3 WKS Toth und Voll, 2001[34] 1 weiblich 35 VBG 5 WKE k.A. Chaves et al., 2002 [35] 5 3 männlich 27 4xRYGBP 2,4 1 WKE k.A. 2 weiblich 1x Ballon 4 PN Sola et al., 2003 [36] 1 männlich 24 GB 1,5 WKS Vanderperren et al., 2003 [37] 1 weiblich 33 VBG 3 WKS K.A. Escalona et al., 2004 [38] 1 weiblich 35 RYGBP 1 WKE Loh et al., 2004 [39] 1 männlich 50 RYGBP 2 WKE Nautiyal et al., 2004 [40] 1 weiblich 46 RYGBP 3 WKE k.A. Thiasetthawatkul et al., 2004 [41] 71/435 71 weiblich 49 VBG / RYGBP PN 16 Towbin et al., 2004 [42] 3 weiblich 14–17 RYGBP 2–6 PN Angstadt und Bodziner, 2004 [43] 1 weiblich 42 RYGBP 1,5 PN k.A. Fandino et al., 2005 [14] 1 männlich 43 Fobi Bypass 2 Foster et al., 2005 [44] 1 weiblich 35 RYGBP 3 WKE k.A. Clements et al., 2006 [45] 54 96% weiblich 40,4 RYGBP k.A. Labor 18,3 Jiang et al., 2006 [46] 1 männlich 39 RYGBP 2 WKE k.A. Lawson et al., 2006 [47] 1 männlich 18 RYGBP k.A. WKS k.A. Worden et al., 2006 [48] 1 weiblich 32 RYGBP 4 WKS Al-Fahad et al., 2006 [12] 1 weiblich 29 RYGBP 2 WKE k.A. Juhasz-Pocsine et al., 2007 [49] 26 23 weiblich 42,2 RYGBP 1–216 2 WKE, 2 PN k.A Longmuir et al., 2007 [50] 1 weiblich 34 RYGBP k.A. Sehstörung k.A. Makarewicz et al., 2007 [51] 1 weiblich 38 SG 0,1 WKE k.A. Summe 218 197 weiblich 34,5 2–3 (90,4%) Singh und Kumar, 2007 [17] 32 27 weiblich BPD: = Biliopankreatische Diversion; DS = Duodenalswitch; GB = Gastric banding; k.A. = keine Angaben; RYGBP = Roux-en-Y «gastric bypass; WKE = Wernicke-Korsakoff-Enzephalopathie; WKS = Wernicke-Korsakoff-Syndrom. gut therapiert werden kann, beträgt die Letalität immerhin Diagnostik 10–20%. Auch bei zeitgerechter Therapie ist eine restitutio ad integrum selten. Kognitive Störungen bleiben häufig be- Zielführend und beweisend ist die Labordiagnostik bei erho- stehen [16]. benem klinischen Verdacht. Viszeralmedizin 2010;26:41–46 44 Stroh/Meyer/Lippert/Manger Prophylaxe  und  Therapie Eigene  Ergebnisse Eine Thiamin-Zufuhr von 1,1 mg/Tag für Frauen und von In der prospektiven multizentrische Beobachtungsstudie zur 1,2–1,5 mg/Tag für Männer ist erforderlich, um einem De- Qualitätssicherung für die operative Therapie der morbiden fizit vorzubeugen. Dies entspricht 0,5 mg/1000 kcal/Tag. In Adipositas in Deutschland von 2005 bis 2007 wurden anhand der frühen Phase wird eine Neuropathie durch Gabe von der erhobenen Daten bei 3122 erfassten Patienten keine 20–30 mg/Tag Thiamin bis zur Rückbildung der Symptome Fälle eines Vitamin-B1-Mangels mit Ausbildung einer Beri- therapiert. Zur Behandlung der WE sind 100 mg Thiamin beri berichtet [20, 21]. Auch in den bisher verfügbaren Anga- i.m. oder i.v. über mehrere Tage mit anschließender hoch ben des Jahres 2008 mit im Gesamtzeitraum nunmehr über dosierter oraler Supplementation erforderlich [9]. Beim 6000 eingeschlossenen Patienten wurde kein Thiamin-Man- Ausgleich des Thiamin-Mangels sind parallel die anderen gel beobachtet. B-Vitamine in vergleichbaren Dosen in Kombination mit Magnesium zu substituieren. Für die Patienten nach bariatrischen Eingriffen ist die Schlussfolgerung Dauermedikation mit laufenden Kontrollen erforderlich, um Komplikationen mit deletärem Ausgang zu verhindern. Eine Vielzahl der morbid adipösen Patienten leidet bereits präoperativ an Störungen des Vitamin-, Mineral- und Kal- zium-Stoffwechsels. Daher kommt der präoperativen Diag- Literaturübersicht nostik, der Prophylaxe und der Therapie dieser spezifischen Mangelzustände besondere Bedeutung zu [11]. 52 Artikel in deutscher und englischer Sprache wurden gefun- Aus unserer Sicht lassen sich folgende Empfehlungen den. Hiervon waren 13 Publikationen ohne Bezug zum ableiten: Thema. Insgesamt wurden 34 Fallberichte und 2 Übersichts- – präoperative Diagnostik von Defiziten arbeiten in die Auswertung einbezogen (Tab. 1). In der vor- • der Vitamine, liegenden Recherche wurden 218 Fälle mit einem Thiamin- • der Spurenelemente und Mangel detektiert. Singh und Kumar [17] hatten 2007 in einer • des Kalziums, Übersichtsarbeit über nur 32 publizierte Fälle berichtet, deren – Ausgleich von präoperativen Mangelzuständen, Nachteil gegenüber der vorgelegten Literaturrecherche ist, – Supplementation von Multivitaminpräparaten bei prolon- dass ausschließlich eine Suche nach dem Auftreten einer WE giertem postoperativen Verlauf/Erbrechen, nach bariatrischen Eingriffen erfolgte. Aus dem unterschied- – sofortige Diagnostik bei unklarer Symptomatik (Seh-/Ge- lichen Ansatz der Stichwortsuche resultiert der große Unter- fühlsstörungen, Krämpfe, brennende Füße), schied in der detektierten Fallzahl. – gezielter Ausgleich von Mangelzuständen, Die eigene Recherche ergab, dass das Risiko für das Auf- – lebenslange Supplementation und deren stetige Optimie- treten eines Thiamin-Mangels und eines Wernicke-Korsakoff- rung sowie Syndroms (WKS) bei Frauen mit einem Anteil von 90,4% – mittelfristige bis engmaschige Kontrollintervalle. deutlich erhöht ist. In der vorliegenden Literaturübersicht Die Risiken von Vitamin-, Spurenelement- und Elektrolyt- wird die Inzidenz für das weibliche Geschlecht mit 84,4% be- mangelzuständen nach bariatrischen Eingriffen und deren richtet [17]. Außerdem korreliert das Risiko mit dem Alter Therapie sollten nicht nur der bariatrisch-chirurgischen Ein- der Patienten. Die eigene Datenanalyse erbrachte einen Al- richtung bekannt sein. Bei klinischem Verdacht oder prolon- tersdurchschnitt der betroffenen Patienten von 34,1 (Spanne gierter parenteraler Ernährung ist die unverzügliche Einlei- 14–55) Jahren. In der Literaturübersicht waren die betroffe- tung einer Thiamin-Substitution notwendig, um das Risiko nen Patienten zwischen 23 und 55 Jahre alt [17]. Drei Patien- schwerwiegender Folgen zu minimieren. Die verzögerte oder tinnen gegenüber einem Patient waren älter als 50 Jahre. Die die Fehldiagnose der Beriberi kann zu irreversiblen Schäden meisten Patienten entwickelten die Symptomatik 4–12 Wo- des ZNS mit Koma und tödlichem Ausgang führen. chen nach dem Eingriff. Eine zeitgerechte Diagnosestellung und Therapieinitiie- Die Inzidenz des WKS nach biliopankreatischer Diversion rung ist nur in enger interdisziplinärer Kooperation in einem ist einer Studie zufolge 0,18% [18]. Aus einer weiteren Um- Adipositas-chirurgischen Zentrum oder einer Netzwerkstruk- frage zur Häufigkeit neurologischer Komplikationen nach ba- tur unter Einbeziehung von ambulant tätigen Fachärzten und riatrischen Eingriffen ergibt sich eine Inzidenz von 5,9 Fällen Hausärzten möglich. auf 10 000 Operationen. Die Rücklaufquote der Fragebögen betrug jedoch nur 31,8%. Die Folgen des Thiamin-Mangels und anderer Vitamindefizite wurden damit erfasst. Für den Disclosure Vitamin-B1-Mangel liegt die Inzidenz in der Umfrage bei 1,7 The authors declared no conflict of interest. Fällen pro 10 000 Eingriffen [19]. Viszeralmedizin 2010;26:41–46 Postbariatrische Beriberi 45 Literatur 1 Deitel M: Overweight and obesity worldwide now 18 Primavera A, Brusa G, Novello P, et al: Wernicke- 36 Sola E, Morillas C, Garzon S, et al: Rapid onset of estimated to involve 1.7 billion people. 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Roux-en-Y gastric bypass in a university hospital Tayler E: Preoperative nutritional status of pa- 29 Albina JE, Stone WM, Bates M, Felder ME: Cata- setting. Am Surg 2006;72:1196–1202; discussion tients undergoing Roux-en-Y gastric bypass for strophic weight loss after vertical banded gastro- 1203–1204. morbid obesity. J Gastrointest Surg 2006;10: plasty: malnutrition and neurologic alterations. 46 Jiang W, Gagliardi JP, Raj YP, Silvertooth EJ, 1033–1037. JPEN J Parent Enteral Nutr 1988;12:619–620. Christopher EJ, Krishnan KR: Acute psychotic dis- 12 Al-Fahad T, Ismal A, Soliman MO, Khoursheed 30 Seehra H, MacDermott N, Lascelles RG, Taylor order after gastric bypass surgery: differential diag- M: Very early onset of Wernicke’s encephalopathy TV: Wernicke’s encephalopathy after vertical nosis and treatment. Am J Psychiatry 2006;163: after gastric bypass. Obes Surg 2006;16:671–672. banded gastroplasty for morbid obesity. BMJ 1996; 15–19. 13 Cirignotta F, Manconi M, Mondini S, Buzzi G, 312:434. 47 Lawson ML, Kirk S, Mitchell T, et al: One-year Ambrosetto P: Wernicke-Korsakoff encephalo- 31 Christodoulakis M, Maris T, Plaitakis A, et al: outcomes of Roux-en-Y gastric bypass for mor- pathy and polyneuropathy after gastroplasty for Wernicke’s encephalopathy after vertical banded bidly obese adolescents: a multicenter study from morbid obesity: report of a case. Arch Neurol 2000; gastroplasty for morbid obesity. Eur J Surg 1997; the Pediatric Bariatric Study Group. 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Obes Surg 2000;19:274–275. surgery for morbid obesity. Neurology 2007;68: scopic gastric bypass. Obes Surg 2006;16:603–606. 34 Toth C, Voll C: Wernicke’s encephalopathy follow- 1843–1850. 16 Kramer LD, Locke GE: Wernicke’s encephalopa- ing gastroplasty for morbid obesity. Can J Neurol 50 Longmuir R, Lee AG, Rouleau J: Visual loss due thy. Complication of gastric plication. J Clin Gas- Sci 2001;28:89–92. to Wernicke syndrome following gastric bypass. troenterol 1987;9:549–552. 35 Chaves GV, Pereira SE, Saboya CJ, Ramalho A: Semin Ophthalmol 2007;22:13–19. 17 Singh S, Kumar A: Wernicke encephalopathy after Nutritional status of vitamin A in morbid obesity 51 Makarewicz W, Kaska L, Kobiela J, et al: Wer- obesity surgery. A systematic review. Neurology before and after Roux-en-Y gastric bypass. Obes nicke’s syndrome after sleeve gastrectomy. Obes 2007;68:807–811. Surg 2007;17:970–976. Surg 2007;17:704–706. Viszeralmedizin 2010;26:41–46 46 Stroh/Meyer/Lippert/Manger http://www.deepdyve.com/assets/images/DeepDyve-Logo-lg.png Visceral Medicine Karger

Die Beriberi, eine seltene, aber schwerwiegende nutritive Komplikation nach bariatrischen Eingriffen: Inzidenz, Symptomatologie, Therapie und Prävention

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Karger
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© 2010 S. Karger AG, Basel
ISSN
2297-4725
eISSN
2297-475X
DOI
10.1159/000278867
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Abstract

Hauptthema  ·  Main   Topic Viszeralmedizin 2010;26:41–46 Online publiziert: 12. Februar 2010 DOI: 10.1159/000278867 Die  Beriberi,  eine  seltene,  aber  schwerwiegende   nutritive  Komplikation  nach  bariatrischen  Eingriffen:    Inzidenz,  Symptomatologie,  Therapie  und  Prävention  a b b a Christine Stroh Frank Meyer Hans Lippert Thomas Manger Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, SRH Wald-Klinikum GmbH, Gera, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum, Magdeburg, Deutschland Schlüsselwörter Key  Words Bariatrische Chirurgie · Thiamin-Mangel · Bariatric surgery · Lack of thiamine · Bariatrische Beriberi · Wernicke-Enzephalopathie · Bariatric Beriberi · Wernicke’s encephalopathy · Wernicke-Korsakoff-Syndrom Wernicke-Korsakoff syndrome Zusammenfassung Summary Hintergrund: Die epidemische Zunahme der morbiden Adiposi- Beriberi, a Rare but Serious Nutritious Complication after tas hat zu einer Zunahme an bariatrischen Eingriffen geführt. Bariatric Surgical Interventions: Incidence, Symptomatology, Damit steigt das Risiko, dass schwerwiegende nutritive Kompli- Treatment and Prevention kationen wie die bariatrische Beriberi zunehmen. Inzidenz, Sym- Background: The epidemic growth of morbid obesity has led to ptomatik und Management werden als Ziel dieser repräsentati- an increase in the number of bariatric interventions. During the ven und kompakten Kurzübersicht zusammengefasst. Metho- establishing process of bariatric surgical interventions, simulta- den: Mittels einer systematischen Literaturübersicht wurden neously, the risk for severe nutritious complications such as epidemiologische Angaben, klinische Charakteristika sowie dia- bariatric beriberi can rise. The aim of this short overview was to gnostische und therapeutische Empfehlungen der bariatrischen summarize incidence, symptomatology and management of Beriberi eruiert. Hierzu wurde in den Datenbanken PubMed, bariatric beriberi. Methods: By means of a systematic literature Cochrane und Ovid in einem definierten Zeitraum gezielt mit review, epidemiological data, clinical characteristics and diag- den Schlagworten ‘lack of thiamine’, ‘Wernicke-Korsakoff syn- nostic as well as therapeutic recommendations for bariatric ber- drome’ und ‘Wernicke’s encephalopathy’ nach bariatrischen Ein- iberi were elicited. A query of the databases PubMed, Cochrane griffen recherchiert. Ergebnisse: Bis zum 31. Dezember 2007 und Ovid was done use the following key words ‘lack of thia- wurden insgesamt 218 publizierte Fälle ermittelt. Dabei ist das mine’, ‘Wernicke-Korsakoff syndrome’ and ‘Wernicke’s encepha- Risiko eines Thiamin-Mangels und Wernicke-Korsakoff-Syn- lopathy’ after bariatric surgical interventions. Results: Until De- droms bei Frauen erhöht. Es korreliert mit dem Alter der Patien- cember 31, 2007, the cases of overall 218 patients had been pub- ten. Die Datenanalyse einen Altersdurchschnitt erbrachte von lished, indicating that the risk for the postoperative occurrence 34,1 (14–55) Jahren. Die meisten Patienten entwickelten eine of thiamine deficiency and Wernicke-Korsakoff syndrome is dis- trockene Beriberi. Bei klinischen Verdacht erfolgte die Labor- tinctly increased in women. In addition, the risk correlates with diagnostik. Die Therapie besteht in einer parenteralen Thiamin- patient’s age. Data analysis revealed a mean age of 34.1 (14–55) Substitution. Schlussfolgerung: Die bariatrische Beriberi kann years. The majority of patients developed symptoms of a dry in den ersten 1–3 postoperativen Monaten auf treten. Um das beriberi with peripheral neuritis, ataxia and paraplegia, indicat- Risiko schwerwiegender Folgen zu minimieren, ist bei klini- ing an advanced stage of disease approximately 4–12 weeks schem Verdacht oder prolongierter parenteraler Ernährung die postoperatively. Laboratory analysis is the appropriate diagnos- Thiamin-Substitution notwendig. Die verzögerte oder die Fehl- tic. As treatment, prompt initiation of parenteral thiamine substi- diagnose der Beriberi kann zu irreversiblen Schäden des ZNS tution under clinical monitoring is required. Conclusion: Bariat- mit Koma und tödlichem Ausgang führen. Kenntnisse über die ric beriberi can occur within the first 1–3 postoperative months. Entstehung, Symptomatik und Notfalltherapie sind damit für To minimize the risk of severe consequences, immediate substi- bariatrische Chirurgen und mitbehandelnde Disziplinen von tution of thiamine in clinical suspicion or prolonged parenteral Bedeutung. nutrition is necessary. A delayed or false diagnosis can lead to irreversible damage of the CNS with coma and fatal outcome. Knowledge on the subject, including origin of thiamine defi- ciency, symptomatology and emergency treatment can be con- sidered essential for bariatric surgeons but also for further medi cal disciplines involved in treatment. © 2010 S. Karger GmbH, Freiburg Dr. Christine Stroh Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie Fax +49 761 4 52 07 14 Accessible online at: SRH Wald-Klinikum Gera GmbH [email protected] www.karger.com/vim Straße des Friedens 122, 07548 Gera, Deutschland www.karger.com Tel. +49 365 82831-01, Fax -02 [email protected] Einleitung  und  epidemiologische  Vorbetrachtungen nutritive Komplikationen wie der Mangel an Thiamin werden insbesondere von Adipositas-Chirurgen beobachtet. Zur Ver- Die Adipositas ist eine weltweite Epidemie, wobei nach meidung schwerwiegender, lebensbedrohlicher Komplikatio- nen sollten die metabolischen Komplikationen nach bariatri- Schätzungen 1,7 Milliarden Erwachsene übergewichtig und 312 Millionen adipös sind [1]. Im internationalen Vergleich schen Eingriffen allen in die Betreuung der operierten Patien- gehört Deutschland zu den Ländern mit einer sehr hohen Prä- ten einbezogenen Fachdisziplinen bekannt sein. valenz der Adipositas. Nach derzeitiger Datenlage sind 70% Thiamin führt zur Beeinflussung des Herzens, des Gastro- intestinaltrakts und des peripheren und zentralen Nervensys- der Männer und 50% der Frauen übergewichtig und hiervon 17% der Männer sowie 15% der Frauen adipös [2]. tems (ZNS). Restriktive und malabsorptive Eingriffe zur Ge- In Studien wurden chirurgische Maßnahmen mit konserva- wichtsreduktion bei morbider Adipositas können potenziell tiven Therapien verglichen. Die Ergebnisse der Swedish Obe- einen Thiamin-Mangel hervorrufen. Eine zeitgerechte Diag- nosestellung und Therapie sind notwendig, um irreversible sity Subject Study (SOS-Studie) bewiesen den derzeitigen deutlichen Vorteil der operativen Therapie hinsichtlich der Schäden wie neurologische Störungen und die Ausbildung Langzeiteffekte der Gewichtsreduktion. Operative Therapie- einer Wernicke-Enzephalopathie (WE) mit deletärem Aus- verfahren werden international daher als sichere und effek- gang zu vermeiden. Das Ziel dieser systematischen Kurzübersicht der Literatur tive Maßnahmen zur Gewichtsreduktion anerkannt [3, 4]. besteht darin, Inzidenz, Symptomatik und Management der In Deutschland hat die Anzahl bariatrischer Eingriffe deut- lich zugenommen – auf derzeit schätzungsweise 2500 Opera- bariatrischen Beriberi zusammenzufassen. Hierzu erfolgte ((Abb. 1. Bemaßung 149,6 mm Breite, ohne Rahmen, s/w)) tionen/Jahr. Daher steigt auch das Risiko, dass die Häufigkeit eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken metabolischer Langzeitkomplikationen, die das «Outcome» PubMed, Cochrane und Ovid mit den Schlagworten ‘lack of thiamine’, ‘Wernicke-Korsakoff syndrome’ und ‘Wernicke’s der Patienten beeinflussen, ansteigt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit der lebenslangen Nachbetreuung. Zahlreiche encephalopathy’ nach bariatrischen Eingriffen. Kofaktor der Katalyse bei der Dekarboxylierung von Pyruvat durch den Pyruvatdehydrogenase- komplex Kofaktor der Azetyl-CoA für Kofaktor der Dekarboxylierung der mitochondriale Oxidation Transketolase α-Ketogluterate Thiaminpyrophosphat Verminderte Akkumulation von Gestörte Synthese Störungen der Dekarboxylierung der Ketosäuren spezifischer zellulären Neurotransmitter im Biosynthese α-Ketogluterate ZNS Aktivierung des Akkumulation von Enzephalo- & Zitratzyklus Aminosäuren Neuropathie Reduzierung der Azidose Energiegewinnung Abb.  1.  Funktion Reduktion des von Thiamin und Kohlehydratabbau Thiaminpyrospho- phat. Viszeralmedizin 2010;26:41–46 42 Stroh/Meyer/Lippert/Manger Z:\Karger\Karger_Zeitschriften_2010\2010_vim\VIM_1_10_81000201\03_texte\VIM_1_10_0361_Stroh_ZS.doc 10 Pathophysiologie bereits vor dem bariatrischen Eingriff ein Defizit nach. Die Ursachen hierfür sind nicht geklärt. Bei präoperativ ernied- Thiamin wird als wasserlösliches Vitamin im proximalen Jeju- rigter Thiamin-Konzentration ist eine gezielte Substitution einzuleiten. num durch ein aktives Transportsystem mit hoher Affinität resorbiert. Die Gesamtmenge von Thiamin im menschlichen Körper beträgt etwa 30 mg bei einer Speicherkapazität für 20 Tage [5, 6]. Persistierendes Erbrechen, eine verminderte Zu- Ursachen fuhr oder ein exzessiver Bedarf können in kurzer Zeit zu einem schweren Mangel führen. Nach einem bariatrischen Eingriff besteht das Risiko, dass ein Das resorbierte Thiamin liegt entweder in seiner freien präoperativ latenter Vitamin-B1-Mangel symptomatisch wird. oder in seiner aktiven, phosphorylierten Form vor. Die Restriktive Operationsverfahren führen durch – eine verminderte Nahrungszufuhr, phosphorylierten Formen entsprechen dem Thiaminmono- und -diphosphat sowie dem Thiaminpyrophosphat und – e ine postoperativ prolongierte Aufnahme von flüssigen -triphosphat. Thiaminpyrophosphat ist Koenzym für ver- Speisen mit einem vermindertem Gehalt an Thiamin und schiedene enzymatische Reaktionen, die den Metabolis- – rezidivierendes Erbrechen zu einem Mangel [5, 12–15]. mus, die Biosynthese und die Zellreplikation regulieren (Abb. 1) [7]. Weiterhin ist Thiaminpyrophosphat ein Mögliche Ursachen für einen Thiamin-Mangel nach malab- Kofaktor der Transketolase, einem Katalysatorenzym sorptiven Verfahren sind des Pentosephosphatzyklus, dessen Produkt NADPH – eine verminderte Nahrungs- und Nährstoffzufuhr, ist. Somit resultieren aus einem Mangel an Thiamin Stö- – reduzierter Appetit, – e ine inkomplette Resorption der Nahrung durch den gerin- rungen der zellulären Biosynthese, der Zellreparatur und Zellreplikation. gen Säuregehalt und Mangel an gastrischen Enzymen, Im ZNS führt der Thiamin-Mangel zur gestörten Synthese – die Ausschaltung des Duodenums, spezifischer Neurotransmitter wie des Azetylcholins und der – die Ausschaltung des proximalen Jejunums als dem primä- ren Ort der Thiamin-Resorption, g -Aminobuttersäure sowie zu Störungen in der Regulation des Ionenflusses an der Synapse. – eine gestörte Vitaminresorption in einem «Common chan- Die Konzentration an Thiamintriphosphat im Nerven- nel» mit einer Länge von 50–100 cm, und Muskelgewebe spielt eine durch die Aktivierung der – eine Hyperemesis. Die meisten Patienten entwickeln in den ersten 1–3 postope- Membrankanäle, die den Ionentransport von Natrium- und Kalium-Ionen in und aus der Zelle regulieren, entscheidende rativen Monaten einen Thiamin-Mangel infolge einer Hyper- Rolle für die Nerven- und Muskelfunktion. Ein Mangel an emesis, die sogenannte bariatrische Beriberi. Bei komplizier- Thiamintriphosphat kann in einer gestörten sensomotori- ten postoperativen Verläufen mit einer prolongierten Infusi- onstherapie ist eine entsprechende parenterale Vitaminzufuhr schen Aktivität, einer Muskelatrophie und in einer Neuropa- thie resultieren. indiziert. Physiologisch hat Thiamin eine wesentliche Bedeutung für folgende Funktionen: Symptomatik – den Kohlenhydratmetabolismus, – den Zitrat-Zyklus, – die Bildung von Nukleinsäuren und Nukleotiden, – Feuchte Beriberi: Die feuchte Beriberi ist durch kar- – den Ionentransport für die sensomotorische und Nerven- diale Symptome und Herzinsuffizienz mit Tachykardie, funktion, Rechtsherzhypertrophie, respiratorischen Störungen, peri- – die Synthese von Neurotransmittern, die für Muskeltonus, pherer Vasodilatation, Ödemen und venöser Hypertonie Gedächtnis- und kognitive Funktionen verantwortlich sind. charakterisiert. Daher ergeben sich aus einem Thiamin-Defizit eine Vielzahl – Trockene Beriberi: Die trockene Beriberi ist die häufigere potenzieller Störungen mit vital bedrohlichen Folgen. Form. Symptome sind die periphere Neuritis, die Neuro- pathie mit Bevorzugung der unteren Extremitäten, Mus- kelschmerzen und -atrophie sowie die Paraplegie. Inzidenz  – Zerebrale Beriberi: Die zerebrale Beriberi ist als Sonder- form der trockenen Beriberi mit einem akuten schweren Thiamin-Defizit assoziiert. Dieses beeinflusst das Zentral- In verschiedenen Studien hatten zirka 15,5% der Patienten mit morbider Adipositas präoperativ einen Vitamin-B1- nervensystem sowie den Spinalkanal und verursacht eine Mangel [8–10]. Dabei zeigten Frauen geringere Thiamin- WE. Ataxie und okulomotorische Störungen sind weitere Konzentrationen als Männer [10]. Flancbaum et al. [11] Symptome. In fortgeschrittenen Stadien kommt es zum Koma. Obwohl die Erkrankung bei frühzeitiger Diagnose wiesen in einer retrospektiven Analyse in 29% der Fälle Viszeralmedizin 2010;26:41–46 Postbariatrische Beriberi 43 Tab.  1.  Literaturübersicht – bariatrische Beriberi (chronologische Reihenfolge) Autor Patientenzahl Geschlecht Alter, OP-Verfahren Beginn, Symptome Inzidenz, % Jahre Monate Rothrock und Smith, 1981 [22] 1 weiblich 33 Plikatur 2 WKE k.A. Haid et al., 1982 [23] 2 weiblich 32,5 Plikatur 2–3 WKE k.A. Milius et al., 1982 [24] 1 weiblich 32 gastrische Teilung 3 WKE k.A. Fawcett et al., 1984 [25] 1 weiblich 45 Gastroplastik 2 WKE k.A. Villar und Ranne, 1984 [26] 2 weiblich 23 Gastrische Teilung 1,5 – 8 WKS k.A. Oczkowski und Kertresz, 1985 [27] 1 weiblich 25 VBG 1 WKE k.A. Abarbanel et al., 1987 [28] 23 21 weiblich 32,8 RYGBP 3–20 18 PN 4,6 3 männlich VBG 3 Myopathie (n = 23/500) 2 WKE Kramer und Locke, 1987 [16] 1 weiblich 24 Plikatur 2 WKE k.A. Albina et al., 1988 [29] 1 männlich 28 VBG 2 WKS k.A. Primavera et al., 1993 [18] 3 1 weiblich 28; BPD 2–5 WKS 0,18 2 männlich 34; 55 Seehra et al., 1996 [30] 1 weiblich 55 VBG 4 trockene k.A. 1 weiblich 40 VBG 5 Beriberi Christodoulakis et al., 1997 [31] 1 weiblich 25 VBG 2 PN Grace et al., 1998 [32] 1 männlich 33 RYGBP 136 WKS Bozboa et al., 2000 [33] 1 weiblich 28 GB 1 WKS k.A. Cirignotta et al., 2000 [13] 1 weiblich 36 VBG WKE Salas-Salvado et al., 2000 [5] 2 weiblich 31; 32 RYGBP nach GB 3 WKS Toth und Voll, 2001[34] 1 weiblich 35 VBG 5 WKE k.A. Chaves et al., 2002 [35] 5 3 männlich 27 4xRYGBP 2,4 1 WKE k.A. 2 weiblich 1x Ballon 4 PN Sola et al., 2003 [36] 1 männlich 24 GB 1,5 WKS Vanderperren et al., 2003 [37] 1 weiblich 33 VBG 3 WKS K.A. Escalona et al., 2004 [38] 1 weiblich 35 RYGBP 1 WKE Loh et al., 2004 [39] 1 männlich 50 RYGBP 2 WKE Nautiyal et al., 2004 [40] 1 weiblich 46 RYGBP 3 WKE k.A. Thiasetthawatkul et al., 2004 [41] 71/435 71 weiblich 49 VBG / RYGBP PN 16 Towbin et al., 2004 [42] 3 weiblich 14–17 RYGBP 2–6 PN Angstadt und Bodziner, 2004 [43] 1 weiblich 42 RYGBP 1,5 PN k.A. Fandino et al., 2005 [14] 1 männlich 43 Fobi Bypass 2 Foster et al., 2005 [44] 1 weiblich 35 RYGBP 3 WKE k.A. Clements et al., 2006 [45] 54 96% weiblich 40,4 RYGBP k.A. Labor 18,3 Jiang et al., 2006 [46] 1 männlich 39 RYGBP 2 WKE k.A. Lawson et al., 2006 [47] 1 männlich 18 RYGBP k.A. WKS k.A. Worden et al., 2006 [48] 1 weiblich 32 RYGBP 4 WKS Al-Fahad et al., 2006 [12] 1 weiblich 29 RYGBP 2 WKE k.A. Juhasz-Pocsine et al., 2007 [49] 26 23 weiblich 42,2 RYGBP 1–216 2 WKE, 2 PN k.A Longmuir et al., 2007 [50] 1 weiblich 34 RYGBP k.A. Sehstörung k.A. Makarewicz et al., 2007 [51] 1 weiblich 38 SG 0,1 WKE k.A. Summe 218 197 weiblich 34,5 2–3 (90,4%) Singh und Kumar, 2007 [17] 32 27 weiblich BPD: = Biliopankreatische Diversion; DS = Duodenalswitch; GB = Gastric banding; k.A. = keine Angaben; RYGBP = Roux-en-Y «gastric bypass; WKE = Wernicke-Korsakoff-Enzephalopathie; WKS = Wernicke-Korsakoff-Syndrom. gut therapiert werden kann, beträgt die Letalität immerhin Diagnostik 10–20%. Auch bei zeitgerechter Therapie ist eine restitutio ad integrum selten. Kognitive Störungen bleiben häufig be- Zielführend und beweisend ist die Labordiagnostik bei erho- stehen [16]. benem klinischen Verdacht. Viszeralmedizin 2010;26:41–46 44 Stroh/Meyer/Lippert/Manger Prophylaxe  und  Therapie Eigene  Ergebnisse Eine Thiamin-Zufuhr von 1,1 mg/Tag für Frauen und von In der prospektiven multizentrische Beobachtungsstudie zur 1,2–1,5 mg/Tag für Männer ist erforderlich, um einem De- Qualitätssicherung für die operative Therapie der morbiden fizit vorzubeugen. Dies entspricht 0,5 mg/1000 kcal/Tag. In Adipositas in Deutschland von 2005 bis 2007 wurden anhand der frühen Phase wird eine Neuropathie durch Gabe von der erhobenen Daten bei 3122 erfassten Patienten keine 20–30 mg/Tag Thiamin bis zur Rückbildung der Symptome Fälle eines Vitamin-B1-Mangels mit Ausbildung einer Beri- therapiert. Zur Behandlung der WE sind 100 mg Thiamin beri berichtet [20, 21]. Auch in den bisher verfügbaren Anga- i.m. oder i.v. über mehrere Tage mit anschließender hoch ben des Jahres 2008 mit im Gesamtzeitraum nunmehr über dosierter oraler Supplementation erforderlich [9]. Beim 6000 eingeschlossenen Patienten wurde kein Thiamin-Man- Ausgleich des Thiamin-Mangels sind parallel die anderen gel beobachtet. B-Vitamine in vergleichbaren Dosen in Kombination mit Magnesium zu substituieren. Für die Patienten nach bariatrischen Eingriffen ist die Schlussfolgerung Dauermedikation mit laufenden Kontrollen erforderlich, um Komplikationen mit deletärem Ausgang zu verhindern. Eine Vielzahl der morbid adipösen Patienten leidet bereits präoperativ an Störungen des Vitamin-, Mineral- und Kal- zium-Stoffwechsels. Daher kommt der präoperativen Diag- Literaturübersicht nostik, der Prophylaxe und der Therapie dieser spezifischen Mangelzustände besondere Bedeutung zu [11]. 52 Artikel in deutscher und englischer Sprache wurden gefun- Aus unserer Sicht lassen sich folgende Empfehlungen den. Hiervon waren 13 Publikationen ohne Bezug zum ableiten: Thema. Insgesamt wurden 34 Fallberichte und 2 Übersichts- – präoperative Diagnostik von Defiziten arbeiten in die Auswertung einbezogen (Tab. 1). In der vor- • der Vitamine, liegenden Recherche wurden 218 Fälle mit einem Thiamin- • der Spurenelemente und Mangel detektiert. Singh und Kumar [17] hatten 2007 in einer • des Kalziums, Übersichtsarbeit über nur 32 publizierte Fälle berichtet, deren – Ausgleich von präoperativen Mangelzuständen, Nachteil gegenüber der vorgelegten Literaturrecherche ist, – Supplementation von Multivitaminpräparaten bei prolon- dass ausschließlich eine Suche nach dem Auftreten einer WE giertem postoperativen Verlauf/Erbrechen, nach bariatrischen Eingriffen erfolgte. Aus dem unterschied- – sofortige Diagnostik bei unklarer Symptomatik (Seh-/Ge- lichen Ansatz der Stichwortsuche resultiert der große Unter- fühlsstörungen, Krämpfe, brennende Füße), schied in der detektierten Fallzahl. – gezielter Ausgleich von Mangelzuständen, Die eigene Recherche ergab, dass das Risiko für das Auf- – lebenslange Supplementation und deren stetige Optimie- treten eines Thiamin-Mangels und eines Wernicke-Korsakoff- rung sowie Syndroms (WKS) bei Frauen mit einem Anteil von 90,4% – mittelfristige bis engmaschige Kontrollintervalle. deutlich erhöht ist. In der vorliegenden Literaturübersicht Die Risiken von Vitamin-, Spurenelement- und Elektrolyt- wird die Inzidenz für das weibliche Geschlecht mit 84,4% be- mangelzuständen nach bariatrischen Eingriffen und deren richtet [17]. Außerdem korreliert das Risiko mit dem Alter Therapie sollten nicht nur der bariatrisch-chirurgischen Ein- der Patienten. Die eigene Datenanalyse erbrachte einen Al- richtung bekannt sein. Bei klinischem Verdacht oder prolon- tersdurchschnitt der betroffenen Patienten von 34,1 (Spanne gierter parenteraler Ernährung ist die unverzügliche Einlei- 14–55) Jahren. In der Literaturübersicht waren die betroffe- tung einer Thiamin-Substitution notwendig, um das Risiko nen Patienten zwischen 23 und 55 Jahre alt [17]. Drei Patien- schwerwiegender Folgen zu minimieren. Die verzögerte oder tinnen gegenüber einem Patient waren älter als 50 Jahre. Die die Fehldiagnose der Beriberi kann zu irreversiblen Schäden meisten Patienten entwickelten die Symptomatik 4–12 Wo- des ZNS mit Koma und tödlichem Ausgang führen. chen nach dem Eingriff. Eine zeitgerechte Diagnosestellung und Therapieinitiie- Die Inzidenz des WKS nach biliopankreatischer Diversion rung ist nur in enger interdisziplinärer Kooperation in einem ist einer Studie zufolge 0,18% [18]. Aus einer weiteren Um- Adipositas-chirurgischen Zentrum oder einer Netzwerkstruk- frage zur Häufigkeit neurologischer Komplikationen nach ba- tur unter Einbeziehung von ambulant tätigen Fachärzten und riatrischen Eingriffen ergibt sich eine Inzidenz von 5,9 Fällen Hausärzten möglich. auf 10 000 Operationen. Die Rücklaufquote der Fragebögen betrug jedoch nur 31,8%. Die Folgen des Thiamin-Mangels und anderer Vitamindefizite wurden damit erfasst. Für den Disclosure Vitamin-B1-Mangel liegt die Inzidenz in der Umfrage bei 1,7 The authors declared no conflict of interest. Fällen pro 10 000 Eingriffen [19]. Viszeralmedizin 2010;26:41–46 Postbariatrische Beriberi 45 Literatur 1 Deitel M: Overweight and obesity worldwide now 18 Primavera A, Brusa G, Novello P, et al: Wernicke- 36 Sola E, Morillas C, Garzon S, et al: Rapid onset of estimated to involve 1.7 billion people. 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Journal

Visceral MedicineKarger

Published: Jan 1, 2010

Keywords: Thiamin-Mangel; Bariatrische Beriberi; Wernicke-Enzephalopathie; Wernicke-Korsakoff-Syndrom; Bariatrische Chirurgie

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