Christian D. Schmidt: Zeit des Gerichts oder Gericht der Zeit? Ideologie und Eschatologie der Siebenten-Tags-Adventisten, Verlag Otto Lembeck Frankfurt/ Main 1972, 99 pp
Christian D. Schmidt: Zeit des Gerichts oder Gericht der Zeit? Ideologie und Eschatologie der...
Schoeps, Hans-Joachim
1972-01-01 00:00:00
286 Der erste Teil uber den Fortschritt und seine Problematik bringt nicht viel Neues, ist aber blendend formuliert; Verf. rechnet fiir die Zukunft bemerkenswerter- weise auch mit einer "rucklaufigen Entwicklung des technischen Fortschritts" (153). Interessanter und politisch brisanter ist der zweite Teil uber die "Revolution". Das politische Ergebnis von Revolution sei in der modernen Geschichte stets das gewesen, "ein autorithres durch ein totalitares Regime zu ersetzen" (291) resp. dieses, "an die Stelle einer schwachen eine starke Autoritat zu setzen" (384). Hier- fiir beruft W. sich auf B. de Jouvanel: Sur le pouvoir (1945). Mit dem abstrakten jakobinisdien Charakter der Revolution von 1789, die moralische Postulate (Men- schenrecht) ohne Prufung ihrer empirischen Durchfuhrbarkeit aufstellte, geht W. (293) scharf ins Gericht. Heute findet ein Stilwandel der Revolutionen statt: sie haben nichts mehr mit Massenbewegungen zu tun, sondern werden von Elitekadern aus Berufsrevolutionären geplant, durchgefuhrt und verwaltet". Diese Revolutionen nehmen unvermeidlich "totalitare Zuge" an (309); charakteristisch fiir diktatorische Regime sind ein zentralisierter Staatsapparat und "eine allgegenwartige Partei- organisation" (329). Insbesondere hat Verf. Lenins Revolution studiert und ist mit Recht der Dber- zeugung, die Bolschewisten werden niemals den Absolutheitsanspruch f3r ihre Dok- trin aufgeben, auch wenn diese von der Wirklichkeit noch so oft dementiert wird (335). Bemerkenswerterweise nimmt W. den amerikanischen way of life und die Prinzipien der westlichen Welt gegen die moralische Kritik der Linken nachdruck- lich in Schutz (343-352). Er meint, in der gegenwartigen Situation wurden sich Konservative und Liberale zwangslaufig gegen die Krafte der revolutionaren Lin- ken verbinden mussen (294). Gegen den modernen Terrorismus des Stils der Tupa- maros weif3 auch Verf. keinen Rat. Aber in gewisser Weise ist sein Rekurs auf Max Weber doch eine Antwort. "Nach Max Weber ist es charakteristisch fiir den Staat, dai3 er das Monopol auf legitime Gewaltanwendung besitzt; sobald Gewalt in weitem Mal3e auch von anderen angewandt und dies nicht als Verbrechen betrachtet wird, hat der Staat zu existieren aufgehort" (361). Hans-Joachim Schoeps Buchbesprechungen Christian D. Schmidt: Zeit des Gerichts oder Gericht der Zeit? Ideologie und Eschatologie der Siebenten-Tags-Adventisten, Verlag Otto Lembeck Frankfurt/ Main 1972, 99 pp. Wenn dieser Versuch einer geistigen Standortbestimmung der "Adventisten vom Siebenten Tag" eines deutlich zeigt, dann dies, daf3 diese Adventisten keine neue montanistische Bewegung sind oder Positionen des altkirchlichen Chiliasmus ver- treten. Wie konnte das auch angehen? Eine Kirche, die die Eschatologie dogmatisch zu ihrem Herzstuck macht (geht das uberhaupt?), empirisch aber feststellen muf3, dai3 ihre Gldubigen vor dem Zeitgeist in die Knie gingen und sich langst verburger- licht haben, bestenfalls mit sozialreformerischen Absichten, ist ubel dran. Um so problematisdier muf3 der Grundsatz heute erscheinen: Kirchenbildung in der Er- wartung ihres Aufgehobenwerdens. Wenn amerikanische Denominationen nicht oft von hartnackiger Lebensdauer waren, muf3te man pessimistische Prognosen stellen. Hans-Joachim Schoeps
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Christian D. Schmidt: Zeit des Gerichts oder Gericht der Zeit? Ideologie und Eschatologie der Siebenten-Tags-Adventisten, Verlag Otto Lembeck Frankfurt/ Main 1972, 99 pp
286 Der erste Teil uber den Fortschritt und seine Problematik bringt nicht viel Neues, ist aber blendend formuliert; Verf. rechnet fiir die Zukunft bemerkenswerter- weise auch mit einer "rucklaufigen Entwicklung des technischen Fortschritts" (153). Interessanter und politisch brisanter ist der zweite Teil uber die "Revolution". Das politische Ergebnis von Revolution sei in der modernen Geschichte stets das gewesen, "ein autorithres durch ein totalitares Regime zu ersetzen" (291) resp. dieses, "an die Stelle einer schwachen eine starke Autoritat zu setzen" (384). Hier- fiir beruft W. sich auf B. de Jouvanel: Sur le pouvoir (1945). Mit dem abstrakten jakobinisdien Charakter der Revolution von 1789, die moralische Postulate (Men- schenrecht) ohne Prufung ihrer empirischen Durchfuhrbarkeit aufstellte, geht W. (293) scharf ins Gericht. Heute findet ein Stilwandel der Revolutionen statt: sie haben nichts mehr mit Massenbewegungen zu tun, sondern werden von Elitekadern aus Berufsrevolutionären geplant, durchgefuhrt und verwaltet". Diese Revolutionen nehmen unvermeidlich "totalitare Zuge" an (309); charakteristisch fiir diktatorische Regime sind ein zentralisierter Staatsapparat und "eine allgegenwartige Partei- organisation" (329). Insbesondere hat Verf. Lenins Revolution studiert und ist mit Recht der Dber- zeugung, die Bolschewisten werden niemals den Absolutheitsanspruch f3r ihre Dok- trin aufgeben, auch wenn diese von der Wirklichkeit noch so oft dementiert wird (335). Bemerkenswerterweise nimmt W. den amerikanischen way of life und die Prinzipien der westlichen Welt gegen die moralische Kritik der Linken nachdruck- lich in Schutz (343-352). Er meint, in der gegenwartigen Situation wurden sich Konservative und Liberale zwangslaufig gegen die Krafte der revolutionaren Lin- ken verbinden mussen (294). Gegen den modernen Terrorismus des Stils der Tupa- maros weif3 auch Verf. keinen Rat. Aber in gewisser Weise ist sein Rekurs auf Max Weber doch eine Antwort. "Nach Max Weber ist es charakteristisch fiir den Staat, dai3 er das Monopol auf legitime Gewaltanwendung besitzt; sobald Gewalt in weitem Mal3e auch von anderen angewandt und dies nicht als Verbrechen betrachtet wird, hat der Staat zu existieren aufgehort" (361). Hans-Joachim Schoeps Buchbesprechungen Christian D. Schmidt: Zeit des Gerichts oder Gericht der Zeit? Ideologie und Eschatologie der Siebenten-Tags-Adventisten, Verlag Otto Lembeck Frankfurt/ Main 1972, 99 pp. Wenn dieser Versuch einer geistigen Standortbestimmung der "Adventisten vom Siebenten Tag" eines deutlich zeigt, dann dies, daf3 diese Adventisten keine neue montanistische Bewegung sind oder Positionen des altkirchlichen Chiliasmus ver- treten. Wie konnte das auch angehen? Eine Kirche, die die Eschatologie dogmatisch zu ihrem Herzstuck macht (geht das uberhaupt?), empirisch aber feststellen muf3, dai3 ihre Gldubigen vor dem Zeitgeist in die Knie gingen und sich langst verburger- licht haben, bestenfalls mit sozialreformerischen Absichten, ist ubel dran. Um so problematisdier muf3 der Grundsatz heute erscheinen: Kirchenbildung in der Er- wartung ihres Aufgehobenwerdens. Wenn amerikanische Denominationen nicht oft von hartnackiger Lebensdauer waren, muf3te man pessimistische Prognosen stellen. Hans-Joachim Schoeps
Journal
Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte
– Brill
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